REUTLINGEN 2018

Reutlingen von der Achalm aus nordöstlicher Richtung fotografiert. In der Mitte die Marienkirche, die zu den bedeutendsten Sakralbauten der Gotik in Württemberg gehört. Rechts der Kirche das Tübinger Tor, links der Kirche die hohen Fachwerkgiebel des ehemaligen Königsbronner Klosterhofs und des Spendhauses. Die Stauferstele steht an der Ecke Zeughaus-/Mauerstraße beim Kesselturm, dessen Pyramidendach mit einer Kugelstange ganz links unten im Bild zu sehen ist.

Inschriften der 38. Stauferstele



Wappen des Reichs

KAISER
FRIEDRICH I.
BARBAROSSA
1152-1190
VERLEIHT
REUTLINGEN
DAS MARKTRECHT
—————————————
SEIN ENKEL
KAISER FRIEDRICH II.
1212-1250
ERHEBT
REUTLINGEN
ZUR STADT
—————————————
IN MEMORIAM
KARL GUHL 1920-2008
BÜRGERMEISTER IN REUTLINGEN 1967-1984



Wappen des Herzogtums Schwaben

HEINRICH
VON NEUFFEN
MUSS 1235
KAISER
FRIEDRICH II.
DIE BURG ACHALM
ÜBERLASSEN
—————————————
1241 IST
KONRAD
VON PLOCHINGEN
REICHSVOGT
DER BURG
UND
ARNOLD
SCHULTHEISS DER STADT
———————————————————
DOCTORES DETLEF ET LOTHAR GUHL DEDERUNT
MARKUS WOLF FECIT MMXVIII



Wappen der Ludowinger

HEINRICH RASPE
LANDGRAF
VON THÜRINGEN
WIRD 1246
GEGENKÖNIG
ZU
KAISER FRIEDRICHS II.
SOHN KONRAD IV.
—————————————
HEINRICH RASPES
PARTEIGÄNGER
BELAGERN
AN PFINGSTEN 1247
REUTLINGEN



Wappen der Stadt Reutlingen

AUS DANKBARKEIT
FÜR DIE
ÜBERSTANDENE
BELAGERUNG 1247
ERRICHTEN
DIE BÜRGER
DIE 1343
VOLLENDETE
MARIENKIRCHE

Hintergrundinformationen zur Stauferstele

Reutlingen wird erstmals 1089 im Bempflinger Vertrag genannt, in dem ein Zeuge namens Roudolfus de Rutelingin urkundet. Der Vertrag, bei dem es um die Gründung des Benediktinerklosters Zwiefalten durch die Grafen von Achalm ging, ist nicht im Original, sondern indirekt über einen Bericht in der um 1135 verfassten Zwiefaltener Chronik des Mönches Ortlieb erhalten.1

Stadterhebung spätestens 1240

Zur Stadterhebung existieren keine zeitgenössischen Quellen, sondern lediglich Aufzeichnungen aus dem 13. bis ins 17. Jahrhundert, die sich jedoch gegenseitig widersprechen. Demnach wurde Reutlingen möglicherweise vom staufischen Kaiser Friedrich I. Barbarossa, vom welfischen Kaiser Otto IV. oder aber von Barbarossas Enkel Kaiser Friedrich II. zur Stadt erhoben.

Unter Berücksichtigung aller verfügbarer Informationen kann man lediglich zu dem Ergebnis kommen, dass die Stadterhebung Reutlingens spätestens im Jahre 1240 in der Regierungszeit von Friedrich II. erfolgt sein muss. Es gibt also, wie auch bei vielen anderen Stadtgründungen, auch bei Reutlingen nur einen Terminus ante quem.2 Weitere Details.

Belagerung durch Anhänger von Heinrich Raspe

Nachdem Kaiser Friedrich II. von Papst Innozenz IV. als abgesetzt erklärt worden war, hielten die Reutlinger den Staufern weiterhin die Treue.

Antistaufische Anhänger von Heinrich Raspe von Thüringen, dem Gegenkönig von Friedrichs Sohn König Konrad IV., belagerten Reutlingen ohne Erfolg. Diese Belagerung fand Pfingsten 1247 statt3 und die Tatsache, dass Heinrich Raspe bereits am 16. Februar 1247 auf der Wartburg verstorben war, dürfte zum Erfolg der Reutlinger beigetragen haben.

Romanische Elemente im Chor der Marienkirche

Bau der Marienkirche

Der Überlieferung zufolge begannen die Reutlinger nach dieser überstandenen Belagerung mit dem Bau der Marienkirche, die aber erst nach einer langen Bauzeit im Jahre 1343 fertiggestellt wurde.

Angesichts der romanischen Sockel am Chor und den Chorflankentürmen war dies möglicherweise kein Neubau, sondern ein Um- und Ausbau einer bereits existierenden romanischen Basilika.4

Sturmbockloch im Chor der Marienkirche

Ein von den Raspe-Anhängern zurückgelassener über dreißig Meter (126 ½ Werkschuh) langer Sturmbock, wie man ihn damals zum Brechen von Stadtmauern und Stadttoren verwendete, soll in der Marienkirche als Trophäe aufgehängt, aber 1517 auf Geheiß des Kaisers Maximilian I. aus dem Gotteshaus entfernt worden sein. Durch das Westportal konnte man die Stange aber wegen der dort gegenüberliegenden Häuser nicht am Stück hinaustransportieren.

Tatsächlich gibt es in der Chorwand eine zugemauerte Stelle, durch die der Sturmbock damals in in die heutige Aulberstraße herausgeschoben worden sein könnte, ohne dass man ihn zersägen musste.

Er wurde 1563 am Rathaus aufgehängt und 1726 beim großen Stadtbrand großteils vernichtet. Die Reste des Sturmbocks, die man wieder in der Marienkirche aufbewahrte, gingen im 19. Jahrhundert verloren.5

Urkunde Konradins (1262). Vergrößerte Ansicht

Verpfändung durch Konradin

Bei einem Aufenthalt in Augsburg im November 1262 wies Konradin, der Sohn von Konrad IV., dem Grafen Ulrich I. von Württemberg gegen dessen Versprechen, ihm mit Rat und Tat beizustehen, weitere 400 Mark Silber auf die Güter in Achalm und Reutlingen an, die er bereits zuvor für 500 Mark an den Grafen verpfändet hatte.6

Mit Konradin starben die Staufer 1268 in männlicher Linie aus.

Der Kesselturm mit dem wie ein Dreieck angebauten Zeughaus und der kleinere Zwingerturm bilden an der Ecke Zeughaus-/Mauerstraße die spätmittelalterliche Kulisse für die Stauferstele. Es hat über fünf Jahre gebraucht, bis man sich auf diesen Standort einigte. Weitere Details.

Erläuterung der Inschriften

Reichsadler. Zur Stadterhebung Reutlingens sind keine zeitgenössischen Quellen erhalten. Stattdessen stehen nur spätere und teils widersprüchliche Chroniken zur Verfügung. Aus diesem Grunde ist lediglich gesichert, dass Reutlingen spätestens um 1240 zur Reichsstadt erhoben wurde.7

Die älteste dieser Chroniken wurde um 1292 von einem namentlich nicht bekannten Minoritenmönch unter dem Titel Flores temporum verfasst. In einer Fassung, in der er Hermannus Gygas genannt wird, berichtet er zum Jahr 1209, dass Reutlingen von Kaiser Otto IV. civiles libertates (dt.: bürgerliche/städtische Freiheiten), also irgendwie geartete Rechte einer civitas (dt.: Stadt) erhalten habe. Später habe Kaiser Friedrich II. die Stadt mit Mauer und Graben befestigt.8

Während die Stadterhebung durch Friedrich II. auf Grund dieser Quellenlage zumindest unsicher ist, lässt sich die auf der Stele behauptete Marktrechtsverleihung durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa durch keinerlei Quellen belegen.9 Weitere Details.

Wappen der Ludowinger. In der älteren Literatur wird immer wieder kolportiert, dass König Heinrich Raspe aus dem Hause der thüringischen Ludowinger, der damalige Gegenkönig von König Konrad IV. aus dem Hause der Staufer, an Pfingsten 1247 die Stadt belagert habe.10 Tatsächlich waren es aber, wie auf der Stauferstele steht, dessen Anhänger, denn Heinrich Raspe selbst war bereits im Februar 1247 auf der Wartburg verstorben.

Wappen von Reutlingen. Die zwischen 1247 und 1343 aus Dankbarkeit für die überstandene Belagerung erbaute Marienkirche zählt heute zu den bedeutendsten Sakralbauten der Gotik in Württemberg.

Stauferlöwen. 1234 erhob sich der in Deutschland regierende König Heinrich (VII.) gegen seinen Vater Friedrich II., den in Italien residierenden Kaiser. In diesem Krieg stand Heinrich von Neuffen, dem damals die Burg Achalm gehörte, auf der Seite des Sohnes. Die wohl entscheidende Schlacht zwischen den Anhängern von Vater und Sohn fand am 21. Juni 1235 im Swiggertal (dieser Nebenfluss des Neckars wird heute Erms genannt) unweit von Reutlingen statt und ging zu Ungunsten des Sohnes aus. Anhänger des Kaisers übernahmen 1235 die Burg Achalm,11 die anschließend eine Reichsburg wurde. Siehe auch: Stauferstele Hohenneuffen.

In eine Urkunde aus dem Jahre 1241 werden Cunradus advocatus de Achhalme (dt.: Konrad Vogt von Achalm) und Arnoldus scultetus de Rutilingen (dt.: Arnold Schultheiß von Reutlingen) als Zeugen genannt.12 Die Plochinger Ritter waren treue Anhänger der Staufer. So unterstützte Konrad von Plochingen im Jahre 1235 Kaiser Friedrich II. im Kampf gegen dessen Sohn Heinrich (VII.)13 und wurde zur Belohnung kaiserlicher Vogt auf der den Neuffenern weggenommenen Burg Achalm. Die Nennung eines Schultheißen ist eines der Indizien dafür, dass Reutlingen zu diesem Zeitpunkt eine Stadt gewesen sein muss.

Zeugnisse der Stauferzeit

Das Tübinger Tor (links) hieß ursprünglich nach einer Reutlinger Familie Metmannstor und gehörte mit seinen Eckbuckelquadern zur stauferzeitlichen Stadtbefestigung. Es soll 1250/60 als Ersatz für einen Vorgängerbau errichtet worden sein, der 1247 Zeuge der Verteidigung der Stadt gegen die Anhänger von Heinrich Raspe gewesen war.14 Bereits 1267 wird es als Mittleres Tor oder Metmanns Tor (que media porta dicitur, vulgari eloquio Metmannes tor) erwähnt.15 Im 14. Jahrhundert wurde es mit einem Fachwerksaufsatz auf eine Höhe von 36 Metern erweitert. – Der Kirchbrunnen neben der Marienkirche (rechts) wurde 1561 errichtet. Die 1903 erneuerte Statue erinnert an Kaiser Friedrich II., der Reutlingen zur Reichsstadt erhoben haben soll.

Außen am Chor der Marienkirche ist das Sturmbockloch gekennzeichnet, durch das der Sturmbock Anno 1547 [sic!] hinausgeschoben worden sein soll. – Innen steht an der entsprechenden Stelle im Chor eine teilweise nur schwer entzifferbare Inschrift mit dem korrekten Datum: Anno 1517 ward der Sturmbock, welcher 270 Jahre lang in der Kirche aufbewahrt lag, durch ein an dieser Stelle ausgebrochenes Loch hinausgeschoben.Vergrößerte Ansicht.

Seit 1997, dem 750. Jahrestag der Belagerung, liegt am Südturm der Marienkirche ein dreizehn Meter langes Replikat des Sturmbocks, den die stauferfeindlichen Belagerer 1247 zurückließen.

Blick vom Turm der Marienkirche auf die riesigen Fachwerkgiebel des ehemaligen Pfleghofs des Klosters Königsbronn und des Spendhauses (links). Der steinerne Kernbau des Königsbronner Hofs stammt aus dem Jahre 1278, der Fachwerkbau daneben und das gemeinsame Dach aus dem 16. und 18. Jahrhundert. Das Spendhaus dahinter ist ein Fruchtkasten aus dem 16. Jahrhundert. – Das Gartentor (rechts) wurde laut Infotafel erstmals im Jahre 1392 als Neues Tor genannt und war im Gegensatz zum Tübinger Tor wohl noch nicht Teil der staufischen Stadtmauer.

Blick vom Turm der Marienkirche auf die Achalm, den Reutlinger Hausberg. Der Gipfel auf einer Höhe von 707 Meter ü.N.N. ist nur zu Fuß zu erreichen. Parkplätze befinden sich auf der Höhe des rechts unten im Bild erkennbaren Achalm-Hotels. Die Burg auf dem Gipfel wurde im Rahmen des Krieges zwischen Kaiser Friedrich II. und seinem Sohn Heinrich (VII.) 1235 von den Anhängern des Kaisers erobert. Die Herren von Neuffen, denen die Burg damals gehörte und die auf der Seite des Sohnes standen, mussten deshalb die Burg Achalm abgeben.

Von der ursprünglich im 11. Jahrhundert von den Grafen Egino und Rudolf von Achalm erbauten Burg sind nur noch wenige Reste der einstigen Ringmauer erhalten. Laut einer Infotafel im Turm ließ König Wilhelm I. von Württemberg im Jahre 1822 auf den Grundmauern des einstigen Bergfrieds einen vierzehn Meter hohen Turm erbauen. Heute führt eine Stahltreppe entlang seiner Innenwände zu einer Aussichtsplattform.

Vom Turm auf der Achalm kann man knapp zwanzig Kilometer östlich den Stammsitz der Herren von Neuffen erkennen, wo die Stauferstele Hohenneuffen steht. Dahinter die Burg Teck mit ihrem prägnanten Turm.

1.  Zwiefalter Chronik Ortliebs. MGH SS 10, S. 76, Zeile 47. – Siehe auch: Bempflinger Vertrag.
2.  Nur in seltenen Fällen, wie beispielsweise von Pfullendorf (1220) oder Heilbronn (1281), kennen wir das genaue Jahr der Stadterhebung. So haben wir beispielsweise von Schwäbisch Gmünd (1162), Ettlingen (1220) und Esslingen (1229) ebenfalls nur einen Terminus ante quem, an dem der Ort spätestens zur Stadt erhoben worden sein muss.
3.   Christoph Friedrich von Stälin: Wirtembergische Geschichte. Zweiter Teil. Schwaben und Südfranken. Hohenstaufenzeit 1080-1268, Stuttgart und Tübingen 1847, S. 198, Fußnote 3:
Eodem etiam anno Rutlingen civitas obsessa est in festo pentecostes. (Codices Vindobonenses Nr. 3264).
4.  Kurt Albrecht: Reutlingen. Beispiel der Entwicklung einer staufischen Reichsstadt. Ludwigsburg 1969, S. 14.
5.  Klaus Graf: Urschel, Nachtfräulein und andere Gespenster. Überlieferungen und Sagen in Reutlingen und Pfullingen. In: Reutlinger Geschichtsblätter 2011 (Neue Folge Nr. 50), S. 209-250, hier: S. 212.
6.  WUB, Band VI., Nr. 1686. Abbildung der Urkunde.
7.  Bernd Breyvogel: Von den dörflichen Anfängen zur stolzen Reichsstadt. Reutlingen im Mittelalter. In: Wilhelm Borth, Bernd Breyvogel, Wolfgang Jung (Hrsg.): Reutlingen. Vergangenheit trifft Zukunft. Von der Reichsstadtherrlichkeit zur selbstbewussten Großstadt. Reutlingen 2013, S. 17–51, hier: S. 22.
8.  Johann Gerhard Meuschen: Hermanni Gygantis Ordinis Fratrum Minorum Flores temporum, Leiden (Lugdunum Batavorum) 1743, S. 123
9.  Bernd Breyvogel, S. 24.
10.  Martin Crusius, Annales Suevici, Band 3, Frankfurt 1596, S. 64.
11.  WUB, Band III., Nr. 863.
12.  WUB, Band VI., Nr. 963.
13.  WUB, Band III., Nr. 864.
14.  Bernd Breyvogel, S. 29.
15.  WUB, Band VI., Nr. 1930.

Die Stauferstele in der Zeughausstraße. Fotos: Bernd Krißler.

Stifter der Stauferstele

Dr. Detlef Guhl und Dr. Lothar Guhl
In memoriam Bürgermeister Karl Guhl (1920–2008)

Einweihung: 21. September 2018


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